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Gezeiten: Wie entstehen Ebbe und Flut?

Die Gezeiten werden in erster Linie von der Anziehungskraft des Mondes erzeugt. Aber warum steigt das Wasser auch auf Seite der Erde an, die dem Mond abgewandt ist?

Ebbe und Flut Grafik mit Positionen von Erde, Sonne, Mond und Flutbergen
Ebbe und Flut Grafik mit Positionen von Erde, Sonne, Mond und Flutbergen

Flutberge bei Neumond (nicht maßstabgetreu).

©timeanddate.de

Die Küsten der Weltmeere sind geprägt vom Rhythmus der Gezeiten. Bei Ebbe zieht sich das Meer zurück und gibt das Watt frei. Nach einigen Stunden rollt die nächste Tide heran und lässt den Meeresspiegel wieder ansteigen.

Zwei Flutberge, zwei Tiden

In den meisten Küstenregionen passiert dies etwa zweimal pro Tag. Dieser Rhythmus der Gezeiten ergibt sich aus der Tatsache, dass es zwei Flutberge gibt, in denen sich das Wasser der Weltmeere ansammelt und so den Wasserspiegel ansteigen lässt. Ein Flutberg befindet sich immer auf der dem Mond zugewandten Seite der Erde, der andere auf der gegenüberliegenden Seite (siehe Bild).

Tidenhub: Wie groß sind die Flutberge?

Auf offener See bewirken die Flutberge einen Anstieg des Wasserspiegels um etwa 30 Zentimeter. Rollt einer der beiden Flutberge an einer Küste vorbei, herrscht dort Flut. Hier staut sich das Wasser – deswegen ist der Höhenunterschied zwischen Ebbe und Flut (Tidenhub) in Küstennähe meist viel größer als auf hoher See.

An der Küste misst ein durchschnittlicher Tidenhub etwa einen Meter. Je nach Beschaffenheit der Küste, Wassertiefe und Distanz zur nächsten Landmasse kann sich der Wasserspiegel jedoch um mehr als zehn Meter heben. Den wahrscheinlich größten Tidenhub der Welt gibt es in der Bay of Fundy in Kanada. Hier schwankt der Wasserpegel zwischen Ebbe und Flut an manchen Tagen um mehr als 16 Meter.

Wie entstehen die zwei Flutberge?

Die Flutberge werden in erster Linie durch die Anziehungskraft (Gravitationskraft) des Mondes erzeugt. Auf den ersten Blick erklärt dies jedoch nur die Entstehung des Flutberges auf der dem Mond zugewandten Seite der Erde. Das Meerwasser scheint zum Erdtrabanten hin gezogen, der Meeresspiegel dadurch angehoben zu werden – aber warum bewegt sich das Wasser auf der anderen Erdseite dann in die entgegengesetzte Richtung?

Oft wird der zweite Flutberg allein mit der Fliehkraft (Zentrifugalkraft) erklärt, die sich aus der Kreisbewegung von Erde und Mond um ein gemeinsames Schwerezentrum (Baryzentrum) ergibt. Tatsächlich trägt dieser Effekt zur Entstehung des zweiten Flutberges bei – trotzdem ist diese Erklärung zu einseitig und damit irreführend. Zudem kann auch die Entstehung des Flutberges auf der dem Mond zugewandten Seite der Erde nicht dadurch erklärt werden, dass die Gravitationskraft des Mondes das Wasser “anhebt” – dafür ist sie viel zu schwach.

Die Gezeitenkraft des Mondes

Vielmehr entstehen beide Flutberge in erster Linie durch die Gezeitenkraft des Mondes. Diese ergibt sich aus dem Gradienten der Gravitationskraft des Mondes – also aus der Tatsache, dass seine Anziehungskraft an Stärke verliert, je weiter man sich von ihm entfernt.

Auf der Mondseite der Erde ist die Gravitationskraft des Mondes auf der Erdoberfläche also etwas größer als im Erdmittelpunkt. Dies bedeutet, dass Wasserpartikel auf dieser Erdhälfte stärker in Richtung des Mondes gezogen werden als die Erde selbst.

Auf der anderen Seite der Erde ist das Gegenteil der Fall. Hier erzielt die Anziehungskraft des Mondes auf der Erdoberfläche eine geringere Wirkung als im Erdmittelpunkt. Die Erde wird also mit größerer Kraft zum Mond hin gezerrt als das Wasser der Ozeane. Dieses fließt dadurch auch hier aus den Randbereichen ab und sammelt sich in einem zweiten, etwas kleineren Flutberg auf der dem Mond abgewandten Erdseite.

Der Mond hebt das Wasser nicht an

Wie erwähnt, kann der Mond das Wasser nicht direkt anheben, denn die Gravitationskraft der Erde ist viel stärker und wirkt in Regionen, die dem Mond zugewandt sind, in entgegengesetzter Richtung. Entscheidend für die Entstehung des ersten Flugberges sind stattdessen Erdregionen, die dem Mond nicht direkt zugewandt sind – vom Mond aus gesehen also die Randbereiche der sichtbaren Erdhälfte. Hier wirkt die Gravitationskraft des Mondes in einem annähernd rechten Winkel zur Erdanziehungskraft – also horizontal bzw. parallel zur Erdoberfläche. In diesen Bereichen kann die Anziehungskraft der Erde der Anziehungskraft des Mondes also nicht direkt entgegenwirken. Deshalb können die Wassermassen hier in die Richtung des Mondes gezogen werden und sammeln sich schließlich dort als Flutberg.

Man kann diesen Effekt am Beispiel eines voll beladenen Einkaufswagen veranschaulichen. Es ist sehr schwer, den Wagen eine Stufe hochzuhieven oder gar ganz anzuheben – ihn also entgegengesetzt zur Erdanziehungskraft zu bewegen. Den Wagen auf einer Ebene – also parallel zur Erdoberfläche – zu schieben, erfordert jedoch weitaus weniger Kraft.

Erdrotation setzt die Flutberge in Bewegung

Tidelands on Germany's North Sea coast.

Watt bei Amrum, deutsche Nordseeküste.

©bigstockphoto.com/RicoK

Nun stehen die Flutberge nicht still, sondern sie wandern durch die Weltmeere und umrunden ungefähr einmal pro Tag die Erde. Getrieben wird diese Bewegung durch die Erdrotation: Der Planet dreht sich sozusagen unter dem Mond hindurch.

So wölbt sich zwar immer einer der Flutberge auf der Mondseite der Erde auf, während sich der andere genau auf der gegenüberliegenden Seite befindet. Die Drehung der Erde sorgt jedoch dafür, dass der sublunare Punkt, also der Ort auf der Erdoberfläche, an dem der Mond im Zenit steht, ständig über die Erdoberfläche wandert – und mit ihm die Flutberge.

Deswegen steigt der Wasserpegel je nach Erdregion zu unterschiedlichen Zeiten an. Wenn man zum Beispiel an der deutschen Nordseeküste durchs Watt spaziert, erreicht der Wasserpegel an der Ostküste Amerikas gerade seinen Höchststand.

Alle 12 Stunden – aber nur ungefähr

In den meisten Küstenregionen der Erde gibt es ungefähr alle 12 Stunden eine Tide. Mit der Erdrotation umrundet jeder der beiden Flutberge die Erde einmal pro Tag. Zwei Flutberge ergeben also zwei Tiden in ungefähr 24 Stunden – aber warum nur ungefähr?

Die Länge eines Tages auf der Erde ist definiert als die Zeitspanne, in der sich unser Planet im Bezug zur Sonne einmal komplett um seine Achse dreht. Dieser Prozess wird Sonnentag genannt und dauert fast genau 24 Stunden.

Die Flutberge folgen jedoch in erster Linie nicht dem subsolaren Punkt (Zenit der Sonne), sondern sie bewegen sich im Einklang mit dem Mond durch die Ozeane. Nun steht der Mond im Gegensatz zur Sonne nicht still, sondern er legt jeden Tag ein kleines Stück seiner etwa 29-tägigen Umlaufbahn um die Erde zurück. In den 24 Stunden, in denen sich die Erde im Verhältnis zur Sonne einmal komplett um ihre Achse dreht, wandert der Mond im Verhältnis zur Erde also ein Stück weiter.

Da er in Richtung der Erdrotation wandert, benötigt die Erde ein wenig länger, um sozusagen mit ihm aufzuschließen. Konkret dauert es im Durchschnitt etwa 24 Stunden und 50 Minuten, bis der sublunare Punkt die Erde einmal komplett umrundet hat.

An einem beliebigen Ort auf der Erdoberfläche rollt der Flutberg auf der dem Mond zugewandten Seite also alle 24 Stunden und 50 Minuten heran. Es gibt jedoch noch einen zweiten Flutberg, der sich immer auf der gegenüberliegenden Seite der Erde befindet. Von einer Tide zur nächsten verstreicht in den meisten Fällen also die Hälfte der Zeit: 12 Stunden und 25 Minuten.

In der Realität werden Zeitpunkt und Ausmaß der Tide an einem bestimmten Ort von einer Vielzahl weiterer Faktoren beeinflusst, vor allem von der ungleichmäßigen Form und Beschaffenheit der Meeresböden und Küstenlinien.

Springtide und Nipptide

Illustration
Illustration

Nipptide bei Halbmond (nicht maßstabsgetreu).

©timeanddate.de

Trotz ihrer relativ geringen Gezeitenkraft kann die Anziehungskraft der Sonne die Höhe der Tiden beeinflussen. Je nach aktueller Mondphase steht der Mond, im Bezug zur Erde, in einem unterschiedlichen Winkel zur Sonne, sodass sich ihre Gravitationskräfte an manchen Tagen gegenseitig verstärken oder aufheben.

Bei Neumond befindet sich der Mond auf derselben Erdseite wie die Sonne. Beide Himmelskörper ziehen also in dieselbe Richtung und bewirken bei Flut einen besonders hohen Wasserstand. Ähnliches passiert bei Vollmond, wenn der Mond im Vergleich zur Sonne auf der gegenüberliegenden Erdseite steht. Beide Phänomene bezeichnet man als Springtide oder Springflut.

Im Gegensatz dazu steht der Mond während der beiden Halbmondphasen – zunehmend und abnehmend – von der Erde aus betrachtet im rechten Winkel zur Sonne. Dann wirken die Gravitationskräfte von Sonne und Mond in unterschiedliche Richtungen und verkleinern so die beiden Flutberge (siehe Bild). Die daraus resultierende, merklich kleinere Flut heißt Nipptide.

Gezeiten bei Supermond und Minimond

Je kleiner die Entfernung des Mondes zur Erde ist, desto mehr Einfluss hat er auf die Gezeiten. Ist er unserem Planeten während der Vollmond- oder Neumondphase besonders nahe – oft als Supermond bezeichnet – kommt es zu einem besonders großen Tidenhub, es gibt also eine besonders große Schwankung zwischen Ebbe und Flut.

Befindet sich der Voll- oder Neumond im Apogäum, dem erdfernsten Punkt seiner Umlaufbahn, spricht man vom Minimond. Dann kommt es zu einer etwas kleineren Tide.

Themen: Erde, Mond, Sonne, Astronomie, Fun Facts